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Manfred Ernst / Sönke Schmidt (Hrsg.): Demokratie in Costa Rica - ein zentralamerikanischer Anachronismus?


FDCL-Verlag
Copyright FDCL, Berlin 1986


Einleitung:

In den Diskussionen über die politische Entwicklung Costa Ricas standen in den letzten Jahren vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt:
- Wird unter dem wachsenden Druck der internationalen Gläubigergemeinde und der wiedererstarkten traditionellen inländischen Agraroligarchie das parlamentarisch-demokratfsche Verfassungssystem zusammenbrechen?
- Wie reagiert die costaricanische Bevölkerung auf die rapide Verschlechterung der Lebensbedingungen seit 1980, die heute für über 70 % der costaricanischen Familien ein Leben unterhalb der Armutsgrenze bedeutet?
- Gelingt es den USA, Costa Rica immer stärker in ihre Zentralamerikapolitik einzubinden und ihren Interessen unterzuordnen?
- Kann durch eine breite Oppositionsbewegung der Politik der sozialen Demontage Einhalt geboten werden?
- Welche Widerstandsformen werden gewählt? Könnte es in Costa Rica und damit zwangsweise in Zentralamerika zu einer weiteren Gewalteskalation kommen?
Trotz der schweren wirtschaftlichen Krise des Landes besteht das "Modell Costa Rica" formal-politisch noch immer. Entgegen unseren Erwartungen haben die Ereignisse der letzten Jahre nicht zu einer raschen Polarisierung und Radikalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse geführt. Die politische Kultur dieses Landes hat sich als sehr flexibel erwiesen. Deren Charakteristika sind eine tiefverwurzelte Religiosität, eine Tradition der außenpolitischen Neutralität, paternalistisch geprägte soziale Beziehungen und stark pro-US-amerikanische Medien. Unter der relativ ruhigen Oberfläche, welche dem nicht-informierten Beobachter noch immer erlaubt, das idyllische Bild von der demokratischen Insel im krisengeschüttelten Zentralamerika aufrecht zu erhalten, hat es jedoch einschneidende Ereignisse gegeben, die sich auch zunehmend im politischen System Costa Ricas bemerkbar machen.
So sind die Herausgeber nach wie vor der Meinung, daß nach der bereits vollzogenen wirtschaftlichen Polarisierung auch eine politische Radikalisierung der costaricanischen Gesellschaft vorstellbar ist. Entscheidend für diese Entwicklung wird sein, ob die wiedererstarkte Agraroligarchie nach den Wahlen vom Februar 1986 ihr repressives Politikkonzept in der Regierungspolitik durchsetzt oder zugunsten des sozialen Friedens zu wirtschaftspolitischen Konzessionen bereit sein wird. Denn daran, daß sich nach den Wahlen eindeutig die konservativen und reaktionären Fraktionen in den Schlüsselsektoren und -ministerien festsetzen werden, zweifelt kaum jemand.
Damit ist heute schon absehbar, daß die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und regionalen Konflikte, insbesondere in bezug auf Nicaragua, sich weiterhin verschärfen werden. Zusammen mit den Autoren dieses Buches wollen wir versuchen, diese Entwicklung aufzuzeigen. Eindeutiges Schwergewicht haben wir deswegen auch auf die aktuelle Problematik dieses Landes gelegt und - abgesehen von einem einleitenden Überblick von Manfred Ernst - historische Herleitungen nur dort vorgenommen, wo sie zum Verständnis des Problems unmittelbar erforderlich sind.
Unsere Hoffnung ist, mit diesem Buch die Einordnung und Interpretation zukünftiger Informationen über das Land zu erleichtern und zum anderen die Probleme der costaricanischen Bevölkerung stärker in die Diskussion über Zentralamerika einzubeziehen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben wir folgende inhaltliche Gliederung des Buches gewählt:
Marta Trejos beschreibt in ihrem Beitrag die innergesellschaftlichen Entwicklungstendenzen seit Beginn der 80er Jahre und den Kampf der verschiedenen politischen Kräfte um den Kurs der nationalen Politik.
Dieser Beitrag mit einführendem Charakter wird ergänzt und vertieft durch eine kritische Analyse der wichtigsten politischen Partei des Landes - der Partido Liberaciön Nacional (PLN), wobei die Autoren, Manuel Solis und Manuel Rojas, vor allem die Politik der PLN während der letzten vier Jahre. der Ära Monge im Hinblick auf ihre Inhalte, Erfolge und Mißerfolge, hinterfragen.
Einen Konflikt, der 1984/1985 die Schwäche einer nationalen Wirtschaftspolitik in Costa Rica exemplarisch beleuchtet, beschreibt Sönke Schmidt: Den Rückzug des US-Multis United Brands aus der Bananenproduktion.
Das erschreckende Ausmaß der Wirtschafts- und Verschuldungskrise und die-aktische Auswegslosigkeit jeglicher Bemühungen zur Überwindung der Krise analysiert Sönke Schmidt in einem weiteren Beitrag, in dem er die Strangulierung der nationalen Souveränität der letzten Jahre aufzeigt.
Als Folge der tiefgreifenden Krise des über 30 Jahre funktionierenden Entwicklungsmodells vollzieht sich seit einigen Jahren ein rasanter Prozeß der Militarisierung eines Landes, das vorher keine Armee hatte. Während Manfred Ernst auf die internen und externen Faktoren dieses Militarisierungsprozesses eingeht, dessen Ausmaß bislang selbst bei Kennern der Region weitgehend unbekannt sein dürfte, beleuchtet Gregorio Selser den Einfluß und die Interessen der USA. In seinem zweiten Beitrag geht Selser auf die Komplizenschaft von Teilen der costaricanischen Regierung und verschiedenen gesellschaftlichen Kräften mit der im Land operierenden antisandinistischen Contra ein. 'Costa Rica - El Eden de Pastora' nannten die Herausgeber der in Hamburg erscheinenden erscheinenden Zeitschrift El Parcial sehr treffend diese Zusammenarbeit.
Relativ breiter Raum wurde den zentralen Konflikten, der Krise der Linken und den Perspektiven emanzipatorischer Kräfte eingeräumt.
Weshalb die Linksparteien trotz der sich drastisch verschlechternden Situation in den letzten Jahren keinen bedeutenden Rückhalt in der Bevölkerung finden und warum in Costa Rica - im Gegensatz zu anderen mittelamerikanischen Ländern - keine Sozialrevolutionäre Bewegung entstanden ist, versuchen Manfred Ernst und Sönke Schmidt in ihrem Beitrag aus der Geschichte dieser Parteien heraus zu erklären.
Manuel Rojas und Elisa Donato analysieren die Perspektiven heutiger Gewerkschaftspolitik vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung des costaricanischen Gewerkschaftssystems. Die Gewerkschaftsbewegung Costa Ricas ist zersplittert, und vor allem sind die Lohnempfänger, die man zur traditionellen "Arbeiterklasse" zählen würde, weniger in Gewerkschaften als in den sogenannten Solidaristischen Vereinigungen organisiert.
Auf dieses Thema geht besonders auch Sönke Schmidt in seinem Beitrag ein, der die Instrumentalisierung der Arbeitslosenhilfe als Fonds für die Gewerkschaftsrepression darstellt.
Anhand einiger Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit weisen Anke Kujawski und Elke Demtschück auf eine Erscheinungsform der strukturellen Krise des Agrarsektors hin, den 'Precarismo'. Wie die Landlosen ihr Überleben zu organisieren versuchen und sich gegen die Vertreibungspraxis der Großgrundbesitzer und staatlicher Repressionsorgane zur Wehr setzen, wird hier eindringlich und lebendig geschildert.
Eine Spielart dieser Gegenwehr besteht sicherlich in der Gründung von Genossenschaften, die allerdings stark von der allgemeinen Krise des Entwicklungsmodells betroffen sind, wie in dem Beitrag von Jürgen Weller deutlich wird.
Daß die sozialen Folgen der Krise auf die Schultern der Frauen abgewälzt werden, dagegen wehrt sich in Costa Rica ein breites Spektrum von Frauengruppen und -Organisationen. Deren bedürfnisorientiertes und Hierarchien infragestellendes Politikkonzept könnte eine wichtige Kraft der Erneuerung bilden. Einen Überblick über die Frauenbewegung, ihre verschiedenen Organisationen und Gruppen, deren Strukturen und Konzepte, gibt der Beitrag von Patricia Vega. Daß die spezifischen Probleme von Frauen auch einen spezifischen Frauenkampf erfordern, artikuliert nachdrücklich die Frauengruppe Ventana.
Als eine "Wahl ohne Alternative" charakterisieren Manfred Ernst und Sönke Schmidt die Wahlen am 2. Februar 1986. Die beiden traditionellen Parteien werden die Wahl unter sich entscheiden, und der Wahlsieg des einen oder anderen Kandidaten stellt nur Varianten der gleichen Politik dar - denn Sieger in diesem "Schönheitswettbewerb".

FDCL, 1986

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

VORWORT

EINLEITUNG

BASISDATEN
Gregorio Selser: Die Litanei vom Land ohne Heer
Manfred Ernst: Historischer Überblick


WIRTSCHAFTSKRISE IN COSTA RICA: STIRBT DIE DEMOKRATIE?
Marta Trejos: Zur aktuellen politischen Lage
Manuel Solís A. / Manuel Rojas B.: Vom Reformismus zum Neoliberalismus: Die Partei der nationalen Befreiung im Angesicht der Krise
Sönke Schmidt: Ihr habt die Regierung - Wir haben die Macht
Sönke Schmidt: Der Internationale Währungsfonds in Costa Rica: Die Strangulierung der nationalen Souveränität

 

MILITARISIERUNG UND REPRESSION SEIT 1979: ABSCHIED VOM PAZIFISMUS
Manfred Ernst: Dem Kommunismus die Zähne zeigen
Gregorio Selser: Die 14 Unannehmlichkeiten der Regierung Monge
Gregorio Selser: Neutralität auf Costaricanisch

 

SOZIALE KONFLIKTE, DIE KRISE DER LINKEN UND DIE PERSPEKTIVEN DER EMANZIPATORISCHEN KRÄFTE
Manfred Ernst / Sönke Schmidt: Die costaricanische Linke in historischer Perspektive - zwischen revolutionärer Utopie und Pragmatismus
Manuel Rojas / Elisa Donato: Probleme und Perspektiven der Gewerkschaften in Costa Rica
Sönke Schmidt: Associaciones Solidaristas: Eine antigewerkschaftliche Massenbewegung auf dem Vormarsch
Elke Demtschück / Anke Kujawski: Precarismo Die Landlosen wehren sich
Jürgen Weller: Genossenschaften in Costa Rica: Integration oder Veränderung?
Patricia Vega: Die costaricanische Frau: Im Kampf für ihre Rechte
Frauengruppe Ventana: Auf viele Weisen Frau sein, auf viele Weisen unterdrückt sein
Manfred Ernst / Sönke Schmidt: 1986: Eine Wahl ohne Alternative

 

ANMERKUNGEN

LITERATURVERZEICHNS

ZU DEN AUTOREN

 

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